Der Brandstifter Joachim S.
Am 21. Dezember 2018 legte Joachim S. bei einem Kneipenabend im Autonomen Kulturzentrum Metzgerstraße in einem Nebenraum Feuer, flüchtete und wurde kurze Zeit später erwischt. Es war der zehnte Brandanschlag auf ein linkes Wohnprojekt im Rhein-Main-Gebiet seit September 2018. Und es gibt kaum eine Frage, die zu dieser Anschlagsserie öfter gestellt wurde als jene: »Was ist das für ein Typ, dieser S.?« Doch es gibt wenig konkretes Wissen über seine Persönlichkeit. Durch Recherchen konnten Bruchstücke seines Lebens in Erfahrung gebracht werden, doch die reichen nicht aus, um ein klares Bild zu zeichnen. Vielfach bewegen wir uns im Bereich der Mutmaßungen. Wichtige Fakten werden von den Behörden zurückgehalten. So soll Joachim S. wegen Brandstiftungen, die er bereits Anfang der 2000er Jahre begangen hat, vorbestraft sein, doch auch hier fehlen genauere Informationen.
Vorangestellt werden muss auch, dass nicht zweifelsfrei erwiesen ist, dass Joachim S. alle zwölf Brandstiftungen dieser Serie begangen hat – allerdings spricht vieles dafür: Zweimal wurde er auf frischer Tat ertappt. Im Dezember 2018 in der Metzgerstraße, sowie am 27. Juli 2019, als Passant*innen bemerkten, wie er von einem Brand beim Frankfurter Wohnprojekt Lila Luftschloss flüchtete, und ihn stellten. Auch ist das Tatmuster immer das Gleiche. Zudem versuchte Joachim S. bereits seit 2015 linke Wohnprojekte existenziell zu schädigen. Abgesehen hatte er es dabei vor allem auf Häuser des Mietshäuser Syndikats (MHS), einem bundesweiten Verbund selbstverwalteter Wohnprojekte. Zwischen 2015 und 2017 hatte S. dutzende MHS-Projekte in ganz Deutschland wegen Formfehlern bei den Behörden denunziert. Er hatte akribisch die öffentlich einsehbaren Bilanzen und Internetseiten der Projekte durchforstet und kleinste Fehler – wie zum Beispiel fehlerhafte Impressen und Disclaimer oder Rechen- und Übertragungsfehler in Bilanzen – den Amtsgerichten oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemeldet.
Der Knotenpunkt in Schwalbach im Taunus war mehrfach von S. denunziert worden – am 14. September 2018 brannte das Haus nach einer Brandstiftung fast vollständig aus. In einigen Fällen hatte sich S. die Namen von Gesellschafter*innen von Syndikatsprojekten beschafft, betroffen war unter anderem das Wohnprojekt Assenland in Frankfurt, bei dem am 13. November ein Feuer gelegt wurde. Auch das Lila Luftschloss, ein feministisches Projekt mit zwei Wohnhäusern in Frankfurt, war von S. denunziert worden. Zwischen Dezember 2018 und Juli 2019 wurden drei Anschläge auf deren Häuser begangen, bei einem wurde S. Auf frischer Tat erwischt.
Auch wenn die Denunziationen für die Projekte störend und in einzelnen Fällen auch mit erheblicher Arbeit verbunden waren, beispielsweise um Fehler in den Bilanzen zu korrigieren, blieben sie ansonsten folgenlos. Der Verfasser der Denunziationen, muss hierfür einen enormen Zeitaufwand betrieben haben. Es ist zu vermuten, dass die Folgenlosigkeit von S. als völlig unbefriedigend empfunden wurde.
Was über Joachim S. bekannt ist
Joachim S. wurde 1972 geboren und wuchs im Oberursel im Taunus auf. Nach einem abgebrochenen Studium der Physik an der Technischen Universität in Darmstadt machte er eine Ausbildung als physikalisch-technischer Assistent. Soweit bekannt ist, arbeitete er von Mitte der 2000er Jahre bis 2018 bei einer Firma in Frankfurt, dann wechselte zu einem internationalen Unternehmen mit Sitz in Neu Isenburg, wo er als »Engineer Project Associate« 2.500 Euro (netto) im Monat verdient(e).
Zu der Zeit der Brandstiftungsserie wohnte er alleine in einer Einzimmer-Wohnung in einem anonymen Wohnblock in Frankfurt-Seckbach. Soweit bekannt, ist der Kreis seiner Freund*innen klein, auch hat er offensichtlich keine*n Lebenspartner*in. Alles an ihm wirkt unauffällig und durchschnittlich: Sein Alltag, sein Urlaub, sein Job. Ausgefallene Hobbys oder einen exzessiven Lebensstil scheint er nicht zu pflegen.
Obwohl S. wahrscheinlich dem Typ nach eher ein Einzelgänger ist , gibt es keinen Grund, ihn als eine marginalisierte Person anzusehen: Er hatte eine Wohnung, eine geregelte Arbeit und war ökonomisch abgesichert.
Joachim S. ist aus keiner politischen Szene bekannt. In linken Treffpunkten im Rhein-Main-Gebiet kann sich niemand an ihn erinnern – insofern scheinen Spekulationen aus der Luft gegriffen, dass es sich bei Joachim S. um einen von der linken Szene Enttäuschten handeln könnte. Derartiges wurde vor allem von der Polizei angedeutet – ein rachsüchtiger Ex-Linker als Täter der Anschlagsserie würde bestens in ihr (politisches) Konzept passen.
Auch gibt es bisher keine Hinweise, dass Joachim S. in rechten Gruppen und Szenen organisiert ist oder war. Die vermeintlich witzigen Bilder, die man bei ihm findet, sind voller Häme und Gemeinheiten gegen Geflüchtete, Schwule, Frauen* und sozial Benachteiligte. Nicht nur für den Täter Joachim S. gilt: Für ein rassistisches, misogynes und chauvinistisches Weltbild und Handeln braucht es keine Organisierung in einer rechten Gruppe.
Darüber hinaus spricht die Auswahl der angegriffenen Projekte eine eindeutige Sprache: Das Autonome Kulturzentrum Metzgerstraße, der linke Treffpunkt ExZess, das besetzte Haus »In der AU«, das feministische Wohnprojekt Lila Luftschloss und die betroffenen Syndikats-Projekte stehen für linke und alternative Wohnformen und Lebensweisen. In den Denunziationen und in der Anschlagsserie drückt sich eine radikale Feindschaft gegenüber jenen linken Praxen aus.
Augenscheinlich ist der Unwille und die Unfähigkeit der Behörden, die politische Substanz der Taten zu begreifen und anzuerkennen. Ihr antiquiertes Verständnis dessen, was eine rechte politische Tat ist, geht davon aus, dass der Täter oder die Täterin einer entsprechenden Organisation angehören oder ein eindeutiges politisches Bekenntnis ablegen muss. In den Gesprächen mit Betroffenen und deren Anwält*innen insistierten Polizei und Staatsanwaltschaft, dass bestimmt keine politischen, sondern persönliche Motive den Anschlägen zugrunde lägen. Wir widersprechen einer Entpolitisierung seiner Anschläge durch die Behörden entschieden.
Zur Person Joachim S. sind viele Fragen offen
Seine Anschläge waren vorbereitet und wurden mit einfachen Mitteln ausgeführt. Er zog mit Brandbeschleuniger los, schlich sich an die Objekte an und legte an den Gebäuden oder in der Nähe der Gebäude Feuer – an Zäunen, an einer Werkstattwand, einem Holzstapel, an Baumaterialien. Im Fall des Wohnprojekts Schwarze Sieben in Hanau im Dezember 2018 zündete er einen Bauwagen an. In mindestens zwei Fällen muss davon ausgegangen werden, dass die Tatorte vorher ausgekundschaftet worden waren.
Doch vor allem sein Verhalten beim Anschlag in der Metzgerstraße in Hanau am 21. Dezember 2018 gibt Rätsel auf. An diesem Abend war Joachim S. im Autonomen Kulturzentrum Metzgerstraße in Hanau etwa eine Stunde beim Kneipenabend anwesend. Er trank reichlich Bier und stellte sich den Anwesenden als Joachim vor. Er verwickelte diese in Gespräche über die vergangenen Brandstiftungen und eine für den nächsten Tag geplante Demonstration in Frankfurt, zu der anlässlich der Anschläge aufgerufen wurde. Und er sprach darüber, wie frustrierend es für die Betroffenen sein müsse, von der Polizei nicht ernst genommen zu werden. Schließlich beobachtete ein Gast wie S. aus einem Nebenraum trat und eilig das Haus verließ. Misstrauisch geworden sahen die Anwesenden in dem Nebenraum nach, entdeckten das Feuer und konnten es schnell löschen. Doch hätte es nur wenige Minuten länger gebrannt, hätte es fatale Folgen haben können. Nur wenige Minuten nach der Tat wurde S. am zentralen Hanauer Busbahnhof angetroffen, wo er auf einer Bank saß und keinen Versuch mehr unternahm, zu entkommen. Der Fall Metzgerstraße bleibt eine Ausnahme, in keinem anderen Fall dieser Serie hatte sich S. den Betroffenen sichtbar gemacht.
Dass er nach dieser Tat offensichtlich planlos die Flucht antrat, wirkt umso irritierender, wenn man um die Sorgfalt und Akribie weiß, mit der bei seinen Denunziationen vorging.
Derzeit ist nicht davon auszugehen, dass der Prozess viel Licht ins Dunkle um die Person Joachim S. bringen wird. Die Behörden weigern sich beharrlich, ihn als politischen Akteur anzuerkennen und setzen offensichtlich darauf, ihn als Pyromanen zu pathologisieren und ihn und seine Taten zu entpolitisieren. So ist zu befürchten, dass vieles zu Joachim S. unaufgeklärt bleiben wird.