Welche Behörden ermitteln (noch) in welchen Fällen?
Am 15. April teilte die Hanauer Oberstaatsanwältin einem Journalisten mit, dass die Ermittlungen zum Brandanschlag auf einen Bauwagen auf dem Gelände des Hanauer Wohnprojekts Schwarze Sieben am 3. Dezember 2018 eingestellt worden seien. Aus der auf den 3. Juni 2020 datierten Antwort des Hessischen Ministerium des Innern auf einen Berichtsantrag eines Abgeordneten der Linkspartei geht hervor, dass die Ermittlungen zu den Bränden in Frankfurt und Schwalbach noch nicht eingestellt wurden. Auch wird aus der ersichtlich, dass die lokal zuständigen Polizeidirektionen und Staatsanwaltschaften unabhängig voneinander ermitteln. Warum wurde die Serie nicht in einem Ermittlungskomplex zusammengefasst? Wird in den nicht eingestellten Fällen überhaupt gegen Joachim S. ermittelt?
Wieso konnte Joachim S. trotz Observation mindestens 19 zum Teil schwere Brandstiftungen begehen?
Am 14. Januar 2019 wurde die Fassade des Hauses, in dem Joachim S, wohnt, beschmiert. Auch wurde eine Scheibe seiner Wohnung eingeworfen und es wurden Flugblätter im Umlauf gebracht, die ihn als Brandstifter öffentlich machten. Seit diesen Aktionen wurde seine Wohnung von der Polizei observiert. Unklar ist, wie lange diese Observation andauerte und ob diese nur dazu diente, S. vor weiteren Angriffen zu schützen. Am 8. Dezember 2019 wurde S. nach – wie die Polizei mitteilte – »intensiven Ermittlungen« und längerer Observation festgenommen. Von September bis Dezember 2019 soll er im Frankfurter Stadtgebiet 19 weitere Brände gelegt haben. Wie konnte dies trotz der Überwachung geschehen? Die Polizei muss offen legen, in welchem Zeiträumen S. mit welchem Aufwand observiert wurde.
Warum wurde Joachim S. erst im Dezember 2019 in U-Haft genommen?
Joachim S. ist seit den frühen 2000er Jahren als Brandstifter polizeibekannt. Am 21. Dezember 2018 wurde er beim Brandanschlag in der Metzgerstraße in Hanau auf frischer Tat ertappt und der Polizei übergeben. Am nächsten Tag kam er frei. Am 27. Juli 2019 fiel Passanten ein Feuer auf dem Gelände des Lila Luftschloss im Frankfurter Nordend auf. Sie sahen einen Mann davon flüchten und stellten ihn. Wieder war es Joachim S. und wieder wurde er am nächsten Tag freigelassen. Am 21. Oktober 2019 wurde S. nach mehreren Brandstiftungen in Frankfurt-Seckbach in Tatortnähe erwischt. Ihm hafteten lt. Polizei Brandspuren an. Doch kurze Zeit später war er abermals frei. Begründet wurden die Freilassungen stets damit, dass es »keinen hinreichenden Tatverdacht« gegen ihn gäbe. Dies ist freilich Nonsens. Wieso wurde er dreimal laufen gelassen?
Wurde ermittelt, ob Joachim S. als Täter von Brandstiftungen am NaturFreundehaus in Frankfurt im Januar 2019 in Frage kommt?
In der Nacht vom 23.01. auf den 24.01.2019 brannte es am Stadtheim der NaturFreunde im Frankfurter Stadtteil Gallus. Das Feuer griff auf die Eingangstür, das Vordach und Teile der Fassade über. Die Feuerwehr löschte es, doch es entstand erheblicher Sachschaden. Offensichtlich handelte es sich auch hier um Brandstiftung. Die NaturFreunde engagieren sich offen gegen Rassismus und Antisemitismus. Nach den uns vorliegenden Kenntnissen weicht lediglich der Zeitpunkt der Brandlegung (nach Mitternacht) vom Modus Operandi der anderen Taten der Anschlagsserie ab, die zwischen 21 und 23 stattfanden. Inwieweit wurde geprüft, ob Joachim S. auch für diese Brandlegung in Frage kommt?
Welche Ermittlungsarbeit hat die Polizei durchgeführt, um Joachim S. der Brandstiftungen an linken Projekten zu überführen?
Die Ermittlungen sind durchzogen von gravierenden Versäumnissen, die mit handwerklichem Versagen nur schwer zu erklären sind. So hat die Polizei nach dem Anschlag auf die Metzgerstraße, Hanau mit keinem betroffenen Projekt Kontakt aufgenommen, um die Informationen über Joachim S. zu erhalten, die dort über ihn vorlagen. S. war in einigen der Projekte bekannt, da er diese zuvor z. B. wegen formalen Fehlern beispielsweise in den Bilanzen angezeigt hatte. Auch ist nicht bekannt, dass Nachbar*innen der Projekte nach Joachim S. befragt wurden, beispielsweise ob er vor den Bränden dort gesehen worden war. Und im Fall des Autonomen Zentrums Metzgerstraße sagte die Polizei den vereinbarten Termin zur Spurensicherung ab – obwohl in diesem Fall in einem Haus Feuer gelegt worden war, in dem sich zur Tatzeit Menschen aufgehalten hatten. Die Polizei muss ihre Ermittlungen offen legen, ihre Unterlassungen erklären und die dafür Verantwortlichen benennen.
Auf welcher Grundlage wertet der hessische Verfassungsschutz die Brandserie gegen linke Projekte als nicht relevant für seinen Jahres-Bericht, das »Outing« von Joachim S. durch linke Gruppen hingegen schon?
In seinem Jahres-Bericht für das Jahr 2018 echauffiert sich der hessische Verfassungsschutz (VS) darüber, dass die »linksextremistische Szene« Politiker*innen, die gegen linke Treffpunkte in Frankfurt gehetzt hatten, als „geistige Brandstifter“ der Anschlagsserie bezeichnet hatte. Auch führt er in dem Bericht auf, dass Joachim S. von Linken geoutet worden sei und dass sein Wohnhaus beschmiert und mit Steinen beworfen worden war. Auf die Anschläge geht er nicht ein. Für das Jahr 2018 zählte er in Hessen nicht eine Brandstiftung, die von rechts begangen wurde. Welchen Definitionen von »rechter Gewalt« und »Verfassungsfeindlichkeit« folgt der hessische VS, wenn er das Outing eines rechten Brandstifters als »verfassungsfeindliche Bestrebung« bewertet, eine Anschlagsserie auf linke Häuser hingegen nicht?
Warum werden die Brandlegungen an linksalternativen Wohnprojekten von den zuständigen Behörden offensichtlich nicht als politisch motiviert eingeordnet?
Die Angriffe auf die linken Projekt waren geplant und zielten explizit darauf ab, die Existenzen von Menschen zu zerstören und deren Leben zu gefährden, weil der Täter sie als anders und links ansah. Dennoch wird dieser politische Hintergrund von Polizei und Staatsanwaltschaften ausgeblendet bzw. in Abrede gestellt. Folgen die Behörden damit einer Direktive, die besagt, dass mit dieser Anschlagsserie bloß kein »politisches Fass« aufgemacht werden soll? Oder ist ihr Verständnis dessen, was eine rechte politische Tat ist, tatsächlich dermaßen antiquiert, dass sie diese nur als solche bewerten, wenn sich der*die Täter*in zu einer extrem rechten Organisation bekennt und ein eindeutiges politisches Bekenntnis ablegt?
Wieso fehlt der Anschlag im autonomen Kulturzentrum Metzgerstraße in der behördlichen Auflistung der Brandanschläge 2018?
Bei diesem Anschlag am Abend des 21. Dezember 2018 wurde Joachim S. beobachtet, wie er aus einem Nebenraum im Autonomen Kulturzentrums Metzgerstraße kam. Man sah im Nebenraum nach, entdeckte das Feuer und löschte es schnell. Nur deshalb kamen keine Menschen zu Schaden. Joachim S. wurde gestellt und der Polizei übergeben, den Brandbeschleuniger hatte er noch im Rucksack. S. wusste, dass sich Personen im Haus aufhielten, denn er hat sich unmittelbar vor der Brandlegung mit Menschen im Kneipenraum unterhalten und ihm war eine Person behilflich gewesen als er danach das Haus fluchtartig verließ. Diese Tat ist vom Gesetz her als ein schweres Verbrechen einzustufen. Noch am Abend des Anschlags wurde der Brandort von der Kriminalpolizei besichtigt und dokumentiert. Es wurde ein Termin zur Spurensicherung vereinbart, der jedoch von der Polizei abgesagt wurde. Die Polizei verabredete trotz telefonischer Nachfrage der Besetzer*innen zunächst keinen weiteren Termin und gab zu verstehen, dass eine Spurensicherung nicht mehr nötig sei. Erst auf öffentlichen Druck hin gab es eine Begehung des Tatorts durch Brandermittler.
Aktuell ist unklar, ob wegen dieses Anschlags überhaupt noch ermittelt wird. Auf Antrag eines Linken-Politikers listete das Hessische Ministerium des Inneren mit Datum vom 3. Juni 2020 die Brandanschläge auf linke Projekte im Jahr 2018 auf, doch bleibt darin der Anschlag in der Metzgerstraße gänzlich unerwähnt. Warum wird dieser Anschlag unterschlagen?