NSU-Watch wird von einem Bündnis aus rund einem Dutzend antifaschistischer und antirassistischer Gruppen und Einzelpersonen aus dem ganzen Bundesgebiet getragen, die unter dem Motto »Aufklären & Einmischen« seit einem Jahrzehnt zum NSU-Komplex arbeiten. Aktuell begleiten und dokumentieren sie den Prozess vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt gegen Stephan Ernst und Markus Hartmann. Die beiden Nazis sind angeklagt wegen des Mordes bzw. der Beihilfe zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke und dem Mordanschlag auf Ahmed I. Ein Urteil in dem Prozess wird für Anfang Dezember erwartet.
Redebeitrag als MP3 herunterladen
Text
Liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen,
rechter Terror greift seit Jahren immer weiter um sich: Die Morde und Bombenanschläge des NSU, das rassistische Attentat im Münchener Einkaufszentrum, der Mord an Walter Lübcke, die Attentate in Hanau und Halle, eine rechte Anschlagsserie in Berlin-Neuköln, dazu extrem rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr und diverse Anschlagsversuche von der Gruppe S., Franco A., Old School Society und vielen mehr. Es ist nicht sonderlich überraschend, dass mit dem Erstarken der Rechten seit 2014 auch immer mehr rechtsterroristische Anschläge verübt werden. Die Serie von Brandanschlägen, für die Joachim S. verantwortlich ist, steht im Kontext einer breiten Mobilisierung rechten Terrors.
Wie so oft wenn es um rechten Terror geht, macht schnell der Begriff vom »Einzeltäter« die Runde. Ein verharmlosender Begriff, der die gesellschaftlichen Strukturen ausblendet. Betrachtet man die Vielzahl der rechtsterroristischen Anschläge und Anschlagsversuche der letzten Jahre, haben wir es anscheinend mit einer ganzen Armee von Einzeltätern zu tun. Natürlich muss man unterscheiden, ob Morde auf das Konto eines großen bundesweit organisierten Netzwerks gehen wie beim NSU, oder ob die Täter augenscheinlich alleine handelten. Doch schaut man sich die vermeintlichen
»Einzeltäter« genauer an, wird man feststellen, dass diese online oder offline doch Mitwisser hatten, wie der Attentäter von Halle, oder sich in ihrer Ideologie von Freunden und Arbeitskollegen bestätigt sahen, wie der Attentäter von Hanau. Es ist wohl kein Zufall, dass Joachim S. Gerade in Zeiten eines massiven Rechtsrucks damit begonnen hat, linke Projekte anzustecken. Der rechte Terror der sogenannten „Einzeltäter“ ist nicht denkbar ohne den Rassismus der Gesellschaft, den Demonstrationen von Pegida auf der Straße und den Reden der AfD im Parlament.
Oft wird auch von dem Zitat »psychisch kranken Einzeltäter« gesprochen. So wird auch aktuell über Joachim S. als Mann mit Zitat »narzisstischer Persönlichkeitsstörung« berichtet. Wir denken, dem liegt eine falsche Unterscheidung zwischen psychischer Krankheit und politischer Motivation zu Grunde. Es gibt keinen Gendeffekt, oder eine Erkrankung, die plötzlich dazu führt rassistisch zu denken oder Linke zu hassen! Extrem rechte Ideologie beinhaltet zwar auch immer einzelne wahnhafte Elemente, wie rassistische und antisemitische Verschwörungstheorien. Und viele Menschen suchen sich als Feindbild nicht selten Gruppen, gegen die in der Gesellschaft eh schon starke Ressentiments bestehen. Doch beides darf nicht zu einer Entpolitisierung führen. Ansätze vermeintlicher psychischer Erkrankungen und rechte Ideologien schließen sich nicht unbedingt aus, weder beim Attentäter von Hanau, noch beim Brandstifter Joachim S. Setzen wir der verharmlosenden Pathologisierung etwas entgegen und nennen das Problem beim Namen: Wir haben es hier mit rechtem Terror zu tun!
Morgen beginnt also der Prozess gegen Joachim S. Als bundesweites Netzwerk NSU-Watch haben wir und uns unsere Genoss*innen in den letzten Jahren viele Gerichtsprozesse wegen rechten Terroranschlägen verfolgt und gehen oft ernüchtert dort raus. Dass im morgen beginnenden Prozess einige Brandanschläge auf linke Zentren gar nicht erst verhandelt werden, ist ein weiterer Schritt Richtung der Entpolitisierung der Taten durch die Justiz. Oft ist bereits die Anklageschrift der Anwaltschaft so unterkomplex, dass kein Urteil befriedigend sein könnte. Da im NSU-Prozess die Bundesanwaltschaft nur von einem Trio statt einem Netzwerk ausging, ist es kein Wunder, dass die Neonazis im Prozess bei der Urteilsverkündigung jubelten. Es wird immer wieder deutlich: Im Kampf gegen die extreme Rechte ist auf den Staat kein Verlass. Dennoch sollte man Gerichtsprozesse nicht vollkommen abschreiben: Sie bieten die Möglichkeit, eine Öffentlichkeit für Betroffene zu schaffen und Informationen über die rechte Szene zu bekommen. Informiert euch also und besucht die Prozesse zu rechtem Terror in Frankfurt zum Mord an Walter Lübcke und dem Angriff auf Ahmed I., zur Brandanschlagsserie auf linke Projekte und dem zukünftigen Prozess gegen den rechten Soldaten Franco A.
Also: Schaut dem Staat beim anstehenden Gerichtsprozess auf die Finger, schafft Öffentlichkeit, klärt über rechten Terror auf. Darüber hinaus: organisiert den Selbstschutz für linke, migrantische, jüdische und feministische Räume, unterstützt euch gegenseitig als Betroffene rechten Terrors.
Getroffen hat es einige, unsere Antwort kommt von allen.