Der erste Redebeitrag kommt aus dem Kreis der Betroffenen der Brandanschläge und ihrer Unterstützer*innen, die sich seit bald zwei Jahren um die Aufklärung der Brandanschlagsserie bemühen. In dem Redebeitrag geht es um die verschiedenen Formen rechten Terrors und die Folgen für die Betroffenen.
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Text
Wir demonstrieren heute gegen rechte Gewalt und rechten Terror hier und überall. Unser Protest richtet sich ebenso gegen die Behörden in Hessen, die seit Jahren diese Gewalt entpolitisieren und bagatellisieren.
In Hessen haben rechter Terror und rechte Gewalt in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Hier nur ein paar Stichpunkte:
Im Januar 2016 wurde in Lohfelden bei Kassel Ahmet I. vor einer Geflüchtetenunterkunft niedergestochen und schwer verletzt. Obwohl die Umstände der Tat eindeutig darauf schließen ließen, dass der Täter aus rassistischer Motivation handelte, ermittelte die Polizei kaum in der rechten Szene.
Dann im Juni 2019 wurde in Wolfhagen bei Kassel der nordhessische Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet. Der Kasseler Neonazi Stephan Ernst hat die Tat gestanden, gegen ihn findet derzeit der Prozess vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt statt. Noch nicht ist geklärt, ob weitere Personen an der Tat beteiligt waren. Die Neonazis hatten Lübcke zuvor als einen Feind aufgebaut, in ihren Augen und Worten war er ein Volksverräter, der die Unterbringung von Geflüchteten organisierte. Bei der Durchsuchung des Hauses von Stephan Ernst fand man die mutmaßliche Tatwaffe des Mordversuchs an Ahmet I. Nur deswegen ist Stephan Ernst auch dieser Tat angeklagt. Und man darf sicher sein: Hätte Ernst das Messer nicht aufgehoben, die Polizei hätte ihn nie und nimmer ermittelt.
Im 23. Juli 2019 schoss in Wächtersbach im Main-Kinzig-Kreis der 55-jährige Roland Koch mit einem Gewehr auf Bilal M., der aus Eritrea geflüchtet war. Bilal M. wurde lebensgefährlich verletzt. Auch dieser Mordversuch war ausschließlich rassistisch motiviert. Der Täter hatte die Tat in seiner Stammkneipe zuvor angekündigt, doch niemand der dort Anwesenden hat versucht, ihn aufgehalten oder die Tat auszureden.
Am 19. Februar 2020 erschoss in Hanau Tobias Ratjen 9 Menschen in und vor zwei Shisha-Bars und verletzte 6 weitere. Danach erschoss er seine Mutter und sich selbst. Der Täter veröffentlichte ein Pamphlet was vor rassistischen Vernichtungsfantasien nur so strotzt. Zudem gab er sich als Verschwörungsideologe, Antisemit und Frauenhasser zu erkennen und offenbarte darüber ein geschlossenes rechtes Weltbild.
Seit 2018 gibt es mittlerweile über 100 Drohschreiben, die mit NSU 2.0 unterzeichnet sind. Schwerpunkt und Anfangspunkt dieser Serie ist der Raum Frankfurt. Die Drohungen richten sich in großer Mehrzahl gegen Frauen, die von den Verfasser*innen als ausländisch oder links angesehen werden. Ihnen wird unter anderem gedroht, sie und ihre Angehörigen zu töten. Der Name NSU 2.0 bezieht sich auf den Nationalsozialistischen Untergrund, der von 2001 bis 2006 zehn Menschen ermordet hatte. In einigen Drohschreiben des NSU 2.0 werden Meldeadressen der Betroffenen genannt, die zuvor aus Polizeicomputern in Hessen, Hamburg und Berlin abgerufen worden waren. Dies bedeutet, dass die Verfasser*innen aus den Reihen der Polizei kommen oder zumindest von Polizist*innen mit Informationen versorgt werden.
Und dann ist noch die Brandserie gegen linke Projekte, die von Herbst 2018 bis Sommer 2019 andauerte. Dabei wurden 12 Anschläge auf 8 Projekte verübt. Die meisten Brände richteten nur wenig Schaden an, doch der Knotenpunkt in Schwalbach im Taunus brannte zum Teil aus, der Sachschaden betrug 200.000 Euro und mehrere Menschen verloren ihr gesamtes Hab und Gut. In weiteren Fällen verhinderte nur das schnelle Eingreifen von Bewohner*innen, Passant*innen und der Feuerwehr Schlimmeres.
Bei zwei Taten wurde der heute 47-jährige Joachim S. aus Frankfurt auf frischer Tat erwischt, es ist davon auszugehen, dass er alle Anschläge dieser Serie begangen hat. Gegen ihn beginnt morgen der Prozess vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt. Zweifellos hat er aus Hass auf linke Lebensentwürfe gehandelt. Es ist bekannt, dass er seit 2017 über 1.700 Euro an die Alternative für Deutschland gespendet hat.
Die rassistischen Morde von Hanau lassen sich freilich nicht mit den Brandanschlägen auf eine Stufe stellen. In Hanau wurden Menschen ermordet und für ihre Freund*innen und Angehörigen wird im Leben nichts mehr so sein wie es vorher war. Bei den Brandanschlägen ist nicht zu erkennen, dass der Täter darauf abzielte, Menschen zu töten, wenngleich es unter unglücklichen Umständen dazu hätte kommen können.
Dennoch sprechen wir in beiden Fällen von rechten Terror.
Unter Terror sind Handlungen zu verstehen, die darauf abzielen, bestimmte Teile der Bevölkerung einzuschüchtern, zu vertreiben, zu schädigen oder gar zu vernichten. Der rechte Terror richtet sich gegen Menschen, denen man die Gleichberechtigung und die Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft abspricht. Entweder aus rassistischen oder antisemitischen Gründen, weil Menschen in den Augen der Täter*innen angeblich fremd sind, weil sie gegen rechts aktiv sind oder weil sie Lebensentwürfe haben, die Rechte ablehnen. Demzufolge sind auch die Brandanschläge auf linke Projekte und die Drohungen des NSU 2.0 als Facetten von rechten Terror zu verstehen.
Wie rechter Terror wirkt war zum Beispiel nach den Schüssen auf Bilal M. in Wächtersbach zu erkennen. Die Familie von Bilal M. zog weg und über Monate trauten sich viele Geflüchtete kaum auf die Straße. Einige schwarze Menschen, die in der Gegend wohnen, sagten, sie würden gerne mehr und öffentlich gegen Rassismus auftreten doch sie würden sich nicht trauen. Sie sagten: Wir wollen nicht die nächsten sein, die von dem nächsten Rassisten erschossen werden, der aus dieser Kneipe kommt. Niemand in dieser einschlägig bekannten rechten Kneipe, in der Roland Koch seine Mordtat offen angekündigt hatte und wo ihm niemand widersprochen hat, hat im Übrigen irgendeine Konsequenz erfahren müssen. Die Rassist*innen leben so offen und unbekümmert wie zuvor und die Betroffenen ziehen sich zurück oder verlassen die Region.
Unser Augenmerk heute richtet sich nun auf den Prozess gegen den AfD-Unterstützer Joachim S., der morgen in Frankfurt beginnt. Wir protestieren ausdrücklich gegen das Bemühen der Ermittlungsbehörden und der Justiz, diesen Prozess zu entpolitisieren. Darüber, dass man den Täter zu einem krankhaften Pyromanen erklären will, darüber dass man seine Taten über eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und eine schwere Kindheit zu erklären versucht.
Doch wir wissen über Joachim S. dass er ein Rassist war und dass er linke Lebensentwürfe hasste. Er unterstützte die AfD und verübte seine Anschläge gezielt auf linke Projekte. Deswegen sind seine Taten selbstverständlich als rechte, politische Taten zu begreifen.
Wir werden allen Versuchen, rechte Gewalt zu entpolitisieren und zu bagatellisieren entschieden entgegen treten. In Frankfurt, in Hanau, überall und immer wieder.