Der Redebeitrag kommt aus dem Kreis der Betroffenen der Brandanschläge und ihrer Unterstützer*innen, die sich um die Aufklärung der Brandanschlagsserie bemühen. In diesem Redebeitrag geht es um die polizeilichen Ermittlungen die von gravierenden Versäumnissen durchzogen sind, die mit handwerklichem Versagen nur schwer zu erklären sind.
Wir stehen hier anlässlich der Urteilsverkündung im Frankfurter Brandstifterprozess. Die Versäumnisse, die wir heute anprangern, beginnen nicht erst mit dem Gebaren der Staatsanwaltschaft im Prozessverlauf – schon die polizeilichen Ermittlungen sind durchzogen von gravierenden Versäumnissen, die mit handwerklichem Versagen nur schwer zu erklären sind.
Es begann schon mit dem ersten Anschlag am 14. September 2018 auf das Wohnprojekt Knotenpunkt in Schwalbach, als bei den Bewohner*innen kurz mal Staatsschutzbeamte der Direktion Bad Soden auftauchten und jeden Verdacht vom Tisch wischten, es könne sich um einen rechten Anschlag gehandelt haben. Kern ihrer Aussage war, er könnten gar keine Rechten gewesen sein, denn die paar Neonazis im Vordertaunus hätte die Polizei schließlich im Griff. Deutlicher kann die Inkompetenz, Ignoranz, Überheblichkeit und der Realitätsverlust der politischen Polizei kaum zum Ausdruck gebracht werden.
Erstens können die Täter oder Täterinnen von außerhalb, zum Beispiel aus dem nur fünf Kilometer entfernten Frankfurt, in den Vordertaunus reisen. Zweitens müssen es keine ausgewiesenen und polizeibekannten Neonazis sein, die ein linkes Projekt angreifen. Und drittens hat die Polizei die Szene mitnichten im Griff – nicht im Vordertaunus, nicht in Frankfurt, nirgendwo in Hessen und nirgendwo in Deutschland. Die rechten Attentäter von Hanau, Kassel und Halle liefen allesamt unter dem Radar der Behörden, teils hatte die Polizei sie aus dem Blick verloren, teils waren sie der Polizei nicht einmal als Rechte bekannt.
Am 21. Dezember 2018 wurde Joachim Scholz dann zum ersten Mal erwischt, als er beim Kneipenabend im Autonomen Kulturzentrum Metzgerstraße in Hanau im Nebenraum ein Feuer legte, danach flüchtete, jedoch kurze Zeit später gestellt und der Polizei übergeben wurde. Den Brandbeschleuniger hatte er noch im Rucksack. Scholz wusste, dass sich Personen im Haus aufhielten, denn er hat sich unmittelbar vor der Brandlegung mit Menschen im Kneipenraum unterhalten. Diese Tat ist vom Gesetz her als ein schweres Verbrechen einzustufen. Noch am Abend des Anschlags wurde der Brandort von der Kriminalpolizei besichtigt und dokumentiert. Es wurde ein Termin zur Spurensicherung vereinbart, der jedoch von der Polizei abgesagt wurde. Die Polizei verabredete trotz telefonischer Nachfrage der Besetzer*innen der Metzgerstraße zunächst keinen weiteren Termin und gab schließlich zu verstehen, dass eine Spurensicherung nicht nötig sei. Erst auf öffentlichen Druck hin gab es eine Begehung des Tatorts durch Brandermittler, doch da waren keine Spuren mehr zu finden. Denn nachdem die Polizei mitgeteilt hatte, dass keine Spurensicherung mehr kommen würde, hatten die Leute aus der Metzgerstraße den Raum aufgeräumt und gereinigt.
Darüber hinaus wurden durch den Prozess weitere Fakten bekannt, deren Aufarbeitung man sich in dem Prozess gewünscht hätte. Dies muss nun von anderen Stellen geleistet werden.
Da ist zum Beispiel die Frage, wer für die sieben Freilassungen von Joachim Scholz von Dezember 2018 bis Dezember 2019 verantwortlich ist.
Ein Polizist, der in der Brandserie im Herbst 2019 ermittelte, berichtete im Prozess, dass Joachim Scholz alleine zwischen dem 20. und 27. Oktober 2019, also innerhalb von nur einer Woche, viermal wegen Brandstiftungen festgenommen wurde. Doch trotz erdrückender Beweise wurde er jedes Mal wieder laufen gelassen. Der Ermittler erzählte von einem Gespräch, das er nach einer Festnahme mit Scholz geführt habe. Er habe Scholz gefragt, wie es nun weitergehe und Scholz habe gehöhnt: »So wie immer. Ich werde entlassen.«
So sind nunmehr acht Fälle zwischen dem 21. Dezember 2018 und dem 8. Dezember 2019 bekannt, in denen Scholz – meist auf frischer Tat – wegen Brandanschlägen festgenommen wurde. Siebenmal wurde er noch in der Nacht oder am nächsten Tag auf freien Fuß gesetzt. Er machte stets weiter, wobei bei mehreren Anschlägen Menschen in Gefahr gerieten.
Es muss geklärt werden, warum erst nach der achten Festnahme und über einem Dutzend Taten, bei denen er beobachtet oder erwischt wurde, eine Wiederholungsgefahr erkannt und Untersuchungshaft verhängt wurde.
Eine weitere Frage, die es zu klären gilt, ist die, warum etliche Taten trotz Observation durch die Polizei geschehen konnten.
Seit spätestens Anfang Dezember 2019 wurde Scholz von der Polizei aufwändig observiert. Auch am Abend des 3. Dezember 2019 begleitete ihn ein Observationsteam. Dieses verlor ihn aus den Augen, als Scholz auf ein Grundstück ging und im Keller eines Wohnhauses ein Feuer legte. Als Scholz das Grundstück verließ, hefteten sich die Polizist:innen wieder an seine Fersen – doch sie sahen nicht nach, was Scholz zuvor auf dem Grundstück getrieben hatte, was die Frage aufwirft, warum man ihn überhaupt beschattete. Nur weil eine Hausbewohnerin zu dieser Zeit vor die Tür trat und den Brandgeruch bemerkte, konnte das Feuer entdeckt und gelöscht werden, bevor es größeren Schaden anrichtete.
Schwer nachvollziehbar ist auch die Einsatztaktik am Abend des 8. Dezember 2019. Ein Observationsteam folgte Scholz bei seiner abendlichen Brandstiftungsrunde und löschte hinter ihm Brände, die er gelegt hatte. Erst bei seiner vierten Tat an diesem Abend schritten die Beamt:innen ein und verhafteten ihn. Ein Polizist, der an der Observation beteiligt war, sagte im Prozess aus, dass das Geschehen an diesem Abend »sehr dynamisch« gewesen sei. Einzelne Taten seien »hoch gefährlich« gewesen und es wäre mit Sicherheit zu Personenschäden gekommen, wäre die Polizei nicht vor Ort gewesen. Andererseits betonte er, dass die Polizei die Situationen unter Kontrolle hatte und deshalb das Geschehen so lange hat laufen lassen können. Seine Aussage wirkte widersprüchlich, doch das Gericht ließ auch dies so stehen.
Und so zog sich die Tendenz zur Entpolitisierung durch die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft über den Gerichtsprozess bis hin zum heutigen Urteilsspruch. Wir werden aber auch in Zukunft nicht aufhören, rechte Taten zu benennen, Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen und immer wieder Aufklärung einzufordern!
Das deutsche Polizeiproblem ist facettenreich. Gestern war der 16. Todestag von Oury Jalloh, der in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt wurde. Über 180 ungeklärte Todesfälle in deutschem Polizeigewahrsam hat die Kampagne »Death in Custody« recherchiert. Ganz hier in der Nähe, am ersten Frankfurter Polizeirevier, existiert ein neonazistisches Netzwerk innerhalb der Polizei, das als »NSU 2.0« linke und migrantische Aktivist*innen, Journalist*innen und die NSU-Nebenklage-Anwältin Seda Basay-Yildiz bedrohte. Rassistische Polizeigewalt und Racial Profiling sind Alltag. Die staatlichen Ermittlungsbehörden scheinen nicht in der Lage, eine offensichtlich rechts motivierte Serie von Brandanschlägen aufzuklären. All das zeigt uns: Auf diesen Staat ist bei der Aufklärung rechter und rassistischer Gewalt kein Verlass. Die Polizei ist nicht reformierbar.
Wir müssen also weiterhin Aufklärung fordern, selbst recherchieren, und Nazis bekämpfen. Organisieren wir den antifaschistischen Selbstschutz!