Feurio! Es brennt schon viel zu lange…
Gemeinsam gegen rechten Terror in Staat, Behörden und auf der Straße
Aktionen zum Prozessauftakt anlässlich der Serie von Brandanschlägen auf linke Wohn- und Kulturprojekte im Rhein-Main-Gebiet 2018 und 2019
Zwischen September 2018 und Juli 2019 kam es im Rhein-Main-Gebiet zu einer Serie von zwölf Brandanschlägen, die sich gegen linke Wohnprojekte und Zentren richteten. Nur Glück und Zufall sind es zu verdanken, dass dabei keine Menschen zu Schaden kamen. Meist konnte die Aufmerksamkeit von Bewohner*innen oder Nachbar*innen Schlimmeres verhindern, manchmal führten die Wetterbedingungen dazu, dass es nur zu Sachschäden kam. Weniger Glück hatten der Knotenpunkt in Schwalbach am Taunus, der am 24. September 2018 fast vollständig ausbrannte. Der Sachschaden betrug allein in diesem Fall über 200.000 € und die Bewohner*innen verloren durch das gelegte Feuer ihr Zuhause und fast ihr gesamtes Hab und Gut. Auch ein Bauwagen des Wohnprojekts Schwarze 79 in Hanau wurde bei einem Brandanschlag am 3. Dezember 2018 schwer beschädigt.
Am 21. Dezember 2018 wurde in einem Nebenraum des Autonomen Kulturzentrums Metzgerstraße in Hanau während eines gut besuchten Barabends Feuer gelegt. Der Täter fiel auf, als er den Raum verließ, wurde von anderen Anwesenden gestellt und der Polizei übergeben. Bei dem Täter handelte es sich um Joachim. S., der bereits am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.
Während Polizei und Staatsanwaltschaft keinen Zusammenhang zur Anschlagsserie erkennen wollten, waren es die Recherchen von Betroffenen und dem Mietshäuser Syndikat, die ans Licht brachten, dass S. bereits zwischen 2015 bis 2017 versucht hatte, dutzende Wohnprojekte existenziell zu schädigen, indem er diese wegen kleinster Formfehler in Bilanzen oder fehlerhafter Impressen bei den Behörden denunzierte. Die gesamte Ermittlungsarbeit ist von Untätigkeit und dem Unwillen geprägt, einen politischen Hintergrund in den Taten zu erkennen. Der in Hanau ermittelnde Staatsschutz hielt es z.B. wochenlang nicht für nötig, Brandermittler*innen zur Sicherung von Spuren in die Metzgerstraße zu schicken.
Und obwohl sich bei S. eine Vielzahl von Indizien finden lassen, die sein rechtes Weltbild, Misogynie, Rassismus und Homofeindlichkeit offenbaren und S. mindestens zweimal Geld an die AfD spendete, wollen die Ermittlungsbehörden in seinen Taten bis heute keinen politischen Hintergrund erkennen. Die zweite Spende an die AfD, bei der er die Rechtsaußenpartei mit knapp 1.700 € im hessischen Landtagswahlkampf unterstützte, erfolgte am 23. August 2018 – ziemlich genau einen Monat vor dem ersten Brandanschlag auf den Knotenpunkt in Schwalbach am Taunus.
Am 26. Juni 2019 wurde S. erneut verhaftet, als er im Hinterhof des feministischen Wohnprojekts Lila Luftschloss im Frankfurter Nordend Feuer legte. Es war bereits der zweite Anschlag auf das Projekt. Beim ersten Brand am 12. Dezember 2018 mussten wegen der starken Rauchentwicklung alle 20 im Haus befindlichen Personen von der Feuerwehr evakuiert werden. Trotz wiederholter Festnahme wollte die Frankfurter Staatsanwaltschaft keinen »dringenden Tatverdacht« erkennen und wieder wurde S. bereits am nächsten Tag aus dem Gewahrsam entlassen.
In Untersuchungshaft genommen wurde S. erst am 8. Dezember 2019. Mittlerweile werden ihm allein zwischen September und Dezember 2019 mindestens 19 teils schwere Brandstiftungen zur Last gelegt. Auch in diesem Zeitraum wurde S. noch mehrfach verhaftet und immer wieder laufen gelassen. Im Gegensatz zur vorangegangen Brandanschlagsserie bei der aussichließlich linke Projekte betroffen waren, scheint S. seine Ziele in diesem Zeitraum eher willkürlich in seinem nächsten Wohnumfeld gesucht zu haben. Warum die Anordnung der Haft erst ein Jahr nach der ersten Festnahme – nach insgesamt über 30 Brandstiftungen – erfolgte, ist nur eine von vielen offenen Fragen in dem Prozess, der am 6. November vor dem Landgericht in Frankfurt beginnt.
Ob und inwiefern die Anschlage auf linke Projekte Teil des Verfahrens sein werden, ist unklar. Es steht zu befürchten, dass die Staatsanwaltschaft im Prozess den Schwerpunkt auf die Brandstiftungen im zweiten Halbjahr 2019 legt. Und selbst wenn wenigstens die Brandanschläge auf die Metzgerstraße und das Lila Luftschloss, bei denen er auf frischer Tat ertappt wurde, Eingang in das Verfahren finden werden, ist von dem Prozess keine Aufklärung über die politische Motivation des Täters und das Versagen der Behörden zu erwarten.
Wenn mensch sich darüber wundert, wie es zu einer ganzen Reihe an Ermittlungsversäumnisse kommen konnte und warum es den Ermittlungsbehörden offensichtlich so schwer fällt, die Anschläge ernst zu nehmen und den politischen Gehalt der Taten zu erkennen, muss ein Blick auf das gesellschaftliche Klima und die politischen Verhältnisse, besonders in Hessen, geworfen werden:
In Frankfurt und Hessen lässt eine Koalition aus FDP, CDU und AfD spätestens seit den Protesten gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 keinen Moment unversucht, linke Projekte und Strukturen zu diffamieren und zu kriminalisieren: So forderte beispielsweise Innenminister Peter Beuth 2018, der seit Jahren gültige Nutzungsvertrag für das Autonome Zentrum im ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld solle »nicht einfach hingenommen werden«. Die Frankfurter AfD macht derweil mobil gegen das besetzte Haus in der AU und forderte die Besetzung »unverzüglich zu beenden«. Die Frankfurter CDU stimmte in den Kanon ein und rief lautstark dazu auf, den angeblich »rechtlosen Zustand« in der AU zu beenden. Auch die FDP wollte die Manege nicht anderen Hetzer*innen überlassen und forderte, dass »das Mietverhältnis mit den Betreibern des Café Exzess schnellstmöglich gekündigt und zum anderen das ehemalige Polizeigefängnis geräumt wird«. Sowohl die AU als auch das Café Exzess waren in der Serie jeweils zweimal das Ziel von Brandanschlägen.
Es ist elementarer Bestandteil der Ideologie von Nazis, alles, was nicht in ihr Weltbild passt, mit allen Mitteln zu bekämpfen. In den letzten Jahren ist aber auch zu beobachten, dass rechte und menschenfeindliche Diskurse wieder bis in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein salonfähig geworden sind. Rechte Täter*innen werden durch den gesellschaftlichen Rechtsruck in ihrem Handeln bestätigt. Auch S. wurde sicher zu seinen Taten ermutigt, wenn er immer wieder vernehmen konnte, dass linken Zentren ihre Existenzberechtigung abgesprochen wird. Die Hetzer*innen aus FDP, CDU und AfD tragen als geistige Brandstifter*innen in jedem Fall eine Mitverantwortung.
Die Brandanschlagsserie ist jedoch nur ein Mosaikstein eines voranschreitenden Rechtsrucks in Staat und Gesellschaft: In den Polizeibehörden wurden in den letzten Monaten bundesweit immer mehr Fälle von Polizist*innen bekannt, die sich in Nazichatgruppen organisieren, ihr rassistisches Weltbild offen zur Schau stellen oder in Neonazinetzwerken, an denen sie beteiligt sind, geschützte personenbezogene Daten von ihren politischen Gegner*innen zugänglich machen. Mit dem NSU 2.0-Netzwerk, an dem unter anderem Polizist*innen aus dem 1. Polizeirevier in Frankfurt beteiligt sind und das vor allem Frauen, die sich gesellschaftlich gegen Rechts engagieren, massiv bedroht, ist Hessen eines der Zentren faschistischer Polizeistrukturen.
Aber auch in Bezug auf offenen rechten Terror und Mordanschläge durch Nazis bildet Hessen einen Hotspot: Das rassistische Attentat in Hanau, dem am 19. Februar 2020 zehn Menschen zum Opfer fielen, der Mordanschlag auf einen Geflüchteten am 22. Juni 2019 in Wächtersbach und die Ermordung Walter Lübckes durch Neonazis am 1. Juni 2019 in Istha bei Kassel.
Auch wenn die Morde und Mordanschläge, die Neonazinetzwerke in sogenannten Sicherheitsbehörden und die Brandanschlagsserie nicht gleichgesetzt werden können, so gibt es doch Parallelen in der gesellschaftlichen Betrachtung und dem politischen Umgang mit diesen Taten. Während die meisten politischen Mandatsträger*innen zumindest in besonders schweren Fällen zunächst mit Bestürzung reagieren und vollumfänglich Aufklärung versprechen, folgen im selben Atemzug schon die Relativierungen. Die Taten werden vermeintlichen Einzeltäter*innen zugeschrieben, ein strukturelles Problem verleugnet und die politische Bedeutung heruntergespielt. Es sind die Betroffenen, die Freund*innen und die Angehörigen, die immer selbst für Aufklärung sorgen und dafür kämpfen müssen, dass Verharmlosen und Vergessen nicht einfach möglich sind.
Wir können das Gerede von Einzeltäter*innen nicht mehr hören. Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus sind im Staat, in Behörden, den Sicherheitsapparaten und auf der Straße weit verbreitet und werden beständig reproduziert. Sie müssen als strukturelles Problem benannt und bekämpft werden, sonst fühlen sich rechte Täter*innen immer wieder ermuntert. Wir können und wollen uns im Kampf gegen rechte Gewalt, Rassismus und Antifeminismus nicht auf den Staat und seine Organe verlassen. Wir setzen auf Solidarität und antifaschistische Selbsthilfe. Den Prozess wegen der Brandanschlagsserie wollen wir zum Anlass nehmen, gegen rechten Terror in all seinen Formen und Erscheinungen zu demonstrieren.
Demonstration
Donnerstag, 5. November 2020, 19 Uhr
Kaisersack, Frankfurt Hauptbahnhof
Kundgebung
Freitag, 20. November 2020, 9 Uhr
Gerichtsstraße, Landgericht Frankfurt
Ursprünglich war der Prozessauftakt für den 6. November angesetzt. Er wurde von den Justizbehörden jedoch kurzfristig verschoben.
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Beteiligt euch an den Aktionen,kommt zum Prozess und informiert euch auf: