Anlässlich der Urteilsverkündung am Freitag, dem 8. Januar 2021 im Strafverfahren gegen Joachim S. vor dem Landgericht in Frankfurt veranstalten Betroffene und ihre Unterstützer*innen eine Kundgebung vor dem Landgericht.
Im Prozess wurden 16 teils schwere Brandstiftungen verhandelt, die S. zwischen Dezember 2018 und Dezember 2019 begangen haben soll. Über die in diesem Verfahren verhandelten Taten hinaus ist Joachim S. sehr wahrscheinlich auch für eine Serie von insgesamt zwölf Brandanschlägen verantwortlich, die sich zwischen September 2018 und Juli 2019 gegen insgesamt acht linke und feministische Wohnprojekte und Zentren im Rhein-Main-Gebiet richteten. Teil des Verfahrens waren allerdings nur zwei Taten dieser Serie, bei denen S. auf frischer Tat ertappt wurde. Ein Anschlag auf das Autonome Kulturzentrum Metzgerstraße in Hanau am 21. Dezember 2018 und ein weiterer auf das feministische Wohnprojekt Lila Luftschloss am 26. Juli 2019.
Politische Motivation und rechte Gesinnung des Täters konsequent ignoriert
In ihrem Plädoyer am 28. Dezember 2020 war es der Staatsanwältin Jacobi von Wangelin in Bezug auf diese beiden Taten besonders wichtig, explizit darauf hinzuweisen, dass im Prozess nicht festgestellt werden konnte, dass sich diese beiden Straftaten gegen die linke Szene gerichtet hätten. Sie behauptete, beide Objekte seien zufällig von Joachim S. ausgewählt worden. Ihre Ausführung steht hier sogar im Widerspruch zu den polizeilichen Ermittlungen. Am dritten Prozesstag hatte ein Beamter in Bezug auf das Lila Luftschloss ausgesagt, dass S. den »optimalen Weg« über das Nachbargrundstück genutzt habe, weil er sich wohl auskannte. Nach Einschätzung der Polizei habe der Täter das Projekt gezielt »angreifen« wollen.
Anita Conrad, die selbst in einem der betroffenen Projekte wohnt, macht deutlich: »Diese Feststellung der Staatsanwältin ist besonders perfide, da sowohl Jacobi von Wangelin als auch das Gericht im gesamten Prozess alle Fragen und Indizien zu Joachim S. politischer Motivation bewusst ausgeklammert hatten. Keine Rede war davon, dass der Brandstifter zwischen 2015 und 2017 bundesweit dutzende linke und feministische Wohnprojekte bei Behörden u.a. wegen Formfehlern in Bilanzen denunziert hatte – darunter auch das Lila Luftschoss. Auch seine Spenden an die Rechtsaußenpartei AfD spielten keine Rolle. Ignoriert wurde außerdem, dass S. sich in Chatverläufen abfällig über linke Wohnprojekte geäußert hatte. All das ist Bestandteil der Ermittlungsakten und hätte von der Staatsanwaltschaft im Verfahren nicht nur zum Thema gemacht werden können, sondern gemacht werden müssen.«
Tom Schmitz, der den Prozess als Beobachter begleitete, ergänzt: »Als gut vernetzter Zusammenschluss von Hausprojekten und linken Zentren mit breitem Unterstützer*innenkreis hatten wir immerhin die Möglichkeit Öffentlichkeit herzustellen. Das konsequente Schweigen im Prozess zum politischen Hintergrund der Taten und dem gesellschaftlichen Kontext, in dem sie stattfanden, konnten wir trotzdem nicht durchbrechen. Auch aus der Zusammenarbeit mit der Opferberatungsstelle Response wissen wir, dass es leider kein Skandal sondern trauriger Alltag ist, dass die rechte Gesinnung von Täter*innen in Ermittlungen und Prozessen ausgeblendet, ignoriert und verschwiegen werden.«
Auch die Ermittlungen werfen Fragen auf
Aber nicht nur das Schweigen zum politischen Hintergrund ist Gegenstand der Kritik. Auch die Ermittlungen selbst werfen Fragen auf. Die erste Festnahme von Joachim S. erfolgte am 21. Dezember 2018. In U-Haft genommen wurde S. erst knapp ein Jahr später am 9. Dezember 2019. Insgesamt wurde er in diesem Zeitraum achtmal verhaftet und siebenmal wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Brandermittler sagte im Prozess aus, dass sie S. allein zwischen dem 5. September und dem 9. Dezember 2019 mindestens 26 Brandstiftungen zurechnen. Bei den meisten der im Prozess verhandelten Taten stand S. bereits unter polizeilicher Beobachtung. Polizist*innen, die an seiner Observation beteiligt waren, machten in ihren Aussagen deutlich, dass immer wieder auch Menschen teils in erheblicher Gefahr geschwebt hatten. Umso unverständlicher ist, warum Joachim S. so lange Brände legen konnte – und das, obwohl er bereits im Jahr 2002 schon einmal wegen Brandstiftungen zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden war.
Ob es wegen der Anschläge auf die linken Wohnprojekte und Zentren noch zu einem weiteren Verfahren kommen wird, ist derzeit eher unwahrscheinlich. Offiziell laufen die vom politischen Staatsschutz geführten Ermittlungen in den meisten Fällen noch. Einige sind jedoch bereits eingestellt. Auch in dieser Serie offenbaren die Ermittlungsakten eine Reihe von Versäumnissen, die allein mit handwerklichen Fehlern nur schwer zu erklären sind.
Anita Conrad zieht ein eher ernüchterndes Resümee: »Aus unserer Perspektive ist der Prozess gescheitert, da die für uns wichtigen Fragen nicht im Ansatz beantwortet wurden. Während die politische Motivation des Täters vom ersten Prozesstag an bewusst ausgeblendet wurde, kamen weitere Pannen und Fehler in den Ermittlungen ans Licht. Aber auch hier erfolgte keine Aufklärung, wer eigentlich die Verantwortung dafür zu tragen hat, dass Joachim S. nach seiner ersten Festnahme ein weiteres Jahr Brandanschläge begehen konnte.«
Tom Schmitz macht deutlich: »Was sich bereits während der Anschlagsserie selbst abzeichnete, bestätigte sich in den Ermittlungen und im Prozess: Betroffene rechter Gewalt können und dürfen sich nicht auf Polizei und Gerichte verlassen. Wir müssen den antifaschistischen Selbstschutz organisieren, um uns, unsere Wohnprojekte und Zentren zu schützen.«
Geistige Brandstifter*innen benennen
Der Anschlagsserie auf linke Projekte 2018 und 2019 war seit den Protesten gegen den G-20-Gipfel im Juli 2017 eine Kampagne vorausgegangen, in der eine Koalition aus FPD, CDU und AfD keinen Moment unversucht ließ, linke Projekte und Strukturen zu diffamieren und zu kriminalisieren: Die Frankfurter AfD machte damals mobil gegen die AU und forderte die Besetzung »unverzüglich zu beenden«. Die CDU stimmte in den Kanon ein und rief lautstark dazu auf, den angeblich »rechtlosen Zustand« in der AU zu beenden. Die FDP forderte derweil »das Mietverhältnis mit den Betreibern des Café Exzess schnellstmöglich gekündigt und zum anderen das ehemalige Polizeigefängnis geräumt wird«. Im jetzt beginnenden Kommunalwahlkampf scheint die Frankfurter CDU daran anknüpfen zu wollen und erklärt in ihrem Wahlprogramm angeblich »rechtswidrig besetze linksautonome Zentren« wie das Klapperfeld und die Au nicht weiter dulden zu wollen.
Anita Conrad erklärt dazu abschließend: »Au und ExZess waren jeweils zweimal Ziel von Brandanschlägen. Wir sind uns sicher, dass rechte Täter*innen wie Joachim S. sich auch von der Mobilmachung von CDU und Co. ermuntert fühlen, zur Tat zu schreiten. Wir sind es leid, dass unsere Wohnprojekte und Zentren von geistigen Brandstifter*innen dämonisiert werden, um dann von rechten Täter*innen angegriffen zu werden. Die Frankfurter CDU scheint nichts daraus gelernt zu haben, wenn sie den Kommunalwahlkampf wieder nutzen will, um weiter Öl ins Feuer zu gießen. Auch gegen diese Hetze werden wir am Freitag mit unserer Kundgebung demonstrieren.«
Die Kundgebung gegen rechte Hetze, rechten Terror und die Entpolitisierung der Brandanschlagsserie beginnt am Freitag, den 8. Januar 2020 um 13 Uhr vor dem Frankfurter Landgericht (Gerichtsstraße 2).
Weitere Informationen:
Eine ausführliche Kritik des Prozessverlaufs ist am 3. Januar 2021 von den Betroffenen und ihren Unterstützer*innen veröffentlicht worden: https://www.rheinmain-doku.org/2021/01/03/urteilsverkuendung-im-frankfurter-brandstifterprozess-am-8-januar-2021-kritik-an-landgericht-und-staatsanwaltschaft/
Die Zusammenfassungen aller Prozesstage sowie eine umfangreiche Dokumentation der Anschlagsserie ist auf der Website der Betroffenen und ihrer Unterstützer*innen zu finden: www.rheinmain-doku.org
Pressekontakt:
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