Heute, am Freitag, den 4. Dezember 2020, wurde der Prozess gegen Joachim S. fortgesetzt. Es war der fünfte Verhandlungstag im Prozess gegen den Brandstifter vor der 4. Großen Strafkammer des Frankfurter Landgerichts.
An diesem Prozesstag standen ein brandtechnisches Gutachten zu den Tatvorwürfen sowie ein psychiatrisches Gutachten zu Joachim S. im Vordergrund.
Zu Beginn machte Joachim S. allerdings eine längere Einlassung: Hierbei stellte er zunächst dar, dass er am 26. Juli 2019 die Brandstiftung am feministischen Wohnprojekt Lila Luftschloss begangen hatte. Er erklärte dazu, dass er sehr betrunken gewesen sei und viele Gedächtnislücken habe. Er sei froh, dass kein größerer Schaden entstanden sei. Er behauptete, dass Lila Luftschloss nur zufällig angegriffen und vorher nicht gekannt zu haben. Er habe dort nur Feuer gelegt, weil er gerade in der Nähe gewesen sei. Eine Entschuldigung wie bei seiner Einlassung am zweiten Prozesstag gab es an dieser Stelle nicht. Diese Darstellung von S. ist im höchsten Maße unglaubwürdig. Schließlich war dieses Wohnprojekt des Lila Luftschloss bereits am 12. Dezember 2018 Ziel eines Brandanschlags. Bei einem weiteren Objekt des Lila Luftschlosses im Frankfurter Ostend wurde am 21. Mai 2019 ein Feuer gelegt.
Des Weiteren gestand er eine der Brandstiftungen am 20. Oktober 2019 in Oberursel, bei der er den Rollladen einer Wohnung anzündete und das Opfer davon schwer traumatisiert wurde. Er behauptete, dass es ihm leid tue, dass die Geschädigte traumatisiert sei und dass er nicht habe wissen können, dass in dem Mehrfamilienhaus jemand wohne. Ein völlig intaktes, jedoch unbewohntes Mehrfamilienhaus in Frankfurt? Auch das Gericht schien Zweifel an dieser Aussage von Joachim S. zu haben.
Auch gestand er weitere Brandstiftungen auf ein Café in Oberursel und eine Hecke in der Nähe seines Wohnhauses. Er erklärte den Tathergang von Brandstiftungen auf einen Keller in einem Wohnhaus, einen Motorroller und eine Scheune, bei denen er observiert wurde.
In seinen gesamten Ausführen versuchte seine Taten in Zusammenhang mit seinem Alkoholkomsum zu bringen und behauptete dabei jedes Mal schwer alkoholisiert gewesen zu sein. Er erklärte, dass er sich wohlfühle, wenn er trinke. Darüber hinaus bagatellisierte er seine Taten: Diese wären seiner Meinung nach nur »kleinere Sachen« gewesen.
Auf Nachfrage, warum er immer wieder Brandstiftungen begehe, wich er aus und meinte nur, er wisse es nicht oder er könne sich nicht erinnern. Dies stand im Widerspruch zu seinen sonst sehr detaillierten Ausführungen zu den Tathergängen.
In den Momenten in denen er zu Erklärungsversuchen zu seinen Motiven ansetzte, unterbrachen ihn seine Anwält*innen schnell und vehement. Die Anwält*innen wiesen darauf hin, dass S. keine Angaben zu seinen Motiven machen werde.
Keine Angaben machte er zum Anschlag auf das Autonome Kulturzentrum Metzgerstraße am 21. Dezember 2018 und zu einer Brandstiftung auf einem Balkon in Niederursel. Bei beiden Taten befanden sind Menschen in unmittelbarer Gefahr. Beim Anschlag in der Metzgerstraße befanden sich Besucher*innen eines Barabends im Gebäude, als S. in einem Nebenraum ein Feuer legte. In Niederursel entstand laut Polizei ein »großes Brandgeschehen«. Dabei drang viel Rauch in eine Wohnung ein, in der Menschen schliefen. Sie konnten zum Glück rechtzeitig von Nachbarn geweckt werden.
Die Verteidigung stellte daraufhin Anträge, weitere Zeug*innen zur Metzgerstraße zu laden, die die bisherigen Zeug*innenaussagen, die S. belasteten, delegitimieren sollten. Diese wurden jedoch im Verlauf des Prozesstages vom Gericht abgelehnt.
Im Anschluss wurde der brandtechnische Gutachter des Landeskriminalamtes angehört. Er gab zu jeder vorgeworfenen Tat eine Einschätzung über die Brennbarkeit der angezündeten Materialien und zu den spezifischen Gefahren ab.
In Bezug auf den Anschlag auf die Metzgerstraße führte er aus, dass keine Brandspuren mehr auffindbar gewesen seinen. Dies sei bei Verwendung von Spiritus jedoch nicht unüblich, da die Brandstelle erst drei Wochen nach dem Anschlag richtig untersucht worden sei. Auch sonst lagen ihm nur unzureichende Informationen zum dortigen Brandgeschehen vor. Durch viel brennbares Material, das in dem betroffenen Raum vorhanden gewesen sei, wäre es seiner Einschätzung nach möglicherweise zu einem starken Brandgeschehen oder auch zu einer Explosionen gekommen, wäre das Feuer nicht direkt gelöscht worden.
Hinsichtlich des Brandanschlags auf das Lila Luftschloss am 26. Juli 2019 sah er keine unmittelbare Gefahr, dass der Brand an den Büschen auf das Haus hätte übergehen können.
Bei dem Brand auf dem Balkon in Niederursel sah er jedoch eine unmittelbare Lebensgefahr für die dort wohnenden Personen. Den Brand auf dem Balkon in Oberursel sah er ebenfalls als höchst gefährlich an. Bei den meisten anderen Bränden sah er die Möglichkeit, dass sie auf naheliegende Häuser hätten übergehen können.
Anschließend wurde der psychologische Gutachter angehört:
Dieser hatte S. vier Mal in der U-Haft besucht, um eine strafrechtliche Bewertung über die Schuldfähigkeit zu treffen.
Der Gutachter konnte keine psychische Erkrankung von S. feststellen. S. habe keinerlei intellektuelle Defizite, vielmehr sei sein erworbenes Wissen überdurchschnittlich. Seine Brandstiftungen seien nicht sexuell motiviert gewesen, auch gebe es keine Hinweise auf eine pyrosensationelle Symptomatik. Da S. in der U-Haft keinerlei Entzugssymptome zeigte, seien sowohl (hirn)organische Veränderungen durch Alkoholkonsum als auch eine Alkoholabhängigkeitserkrankung nicht diagnostizierbar. Vielmehr liege eine Dyade zwischen spezifischen Persönlichkeitsstörungen und Alkoholmißbrauch vor, d.h. der Alkoholkonsum habe bei S. die Funktion einer erträglichen Gestaltung seiner Lebensumstände erfüllt.
S. sei in einem bürgerlichen Milieu sozialisiert, sei aber geprägt durch einen dissozialen Erziehungsstil. Während seiner Schulzeit habe er eine »niederrangige« Außenseiterrolle gehabt, die er durch Anerkennung und durch gute schulische Leistungen zu kompensieren versucht habe. Insgesamt sei er ein Einzelgänger mit einer psychosozial defizitären Persönlichkeitsstruktur. Aufgrund seines massiven Alkoholkonsums habe er sein Studium abbrechen müssen und während des Maßregelvollzugs Anfang der 2000er Jahre, nach seiner ersten Verurteilung wegen Brandstiftung, habe er eine Ausbildung als physikalischer Assistent abgeschlossen. Insgesamt sei S. zeitlebens unter seinen Möglichkeiten geblieben.
Das defizitär-auffällige Verhaltensmuster, das seine kombinierte Persönlichkeitsstörung präge, sei ängstlich vermeidender, dissozialer, narzisstischer sowie passiv-aggressiver Natur.
S. Aussagen, er sei während seiner Taten stark alkoholisiert gewesen, seien insofern unglaubhaft, da er stets planvoll gehandelt habe und es keine Indizien für einen Kontrollverlust gebe, ebenso seien seine Handlungen stets kongruent gewesen. Hierfür sprechen laut Gutachter eindeutig die Zeug*innenaussagen über sein kontrolliertes Auftreten. S. sei daher während seiner Taten mutmaßlich nur leicht intoxiniert gewesen. Die Brandstiftungen seien daher »gelebte Aggressionen«.
Der Gutachter stellte fest, dass S. bei jeder seiner einzelnen Taten voll schuldfähig gewesen sei.
Der Gutachter empfahl keine Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung, ebensowenig wie eine Unterbringung in der Psychiatrie.
Wirkte S. während des gesamten bisherigen Verlaufs des Verfahrens gänzlich unbeteiligt, zeigte er während der Präsentation des psychologischen Gutachtens erstmals Anzeichen von Nervosität.
Das psychologische Gutachten machte erneut deutlich, dass das Vorgehen von Joachim S. trotz seiner psychischen Probleme berechnend und unter völliger Kontrolle seiner Handlungen stattfand. Seine Ausreden, alles auf den Alkohol und den damit verbundenen Trübsinn zu schieben, wurden ebenfalls durch das psychologische Gutachten widerlegt. Auch in Bezug auch die Anschläge auf das Lila Luftschloss und die Metzgerstraße, stelle der Gutachter trotz seiner Alkoholisierung eine volle Schuld- und Zurechnungsfähigkeit fest. Joachim S. gibt folglich bei seinen Taten planmäßig vor und scheint bewusst Menschenleben gefährdet zu haben.
Seine Motive sind in dem Prozess immer noch nicht ernsthaft untersucht und thematisiert worden. Auch an diesem Verhandlungstag zeigten Richterin und Staatsanwältin daran kein Interesse.
Der Prozess wird am 11. Dezember fortgesetzt. Die Urteilsverkündung ist vorausschichtlich für den 14. Dezember zu erwarten.