Angesichts des aktuellen Verfahrens gegen Joachim S. müssen wir davon ausgehen, dass seine politische oder ideologische Motivation in dem bald stattfindenden Prozess kein Thema sein wird.
Vermutlich werden die meisten Brandstiftungen an linken Zentren und Wohnprojekten im Rhein-Main-Gebiet 2018 im Prozess nicht angeklagt sein. Offensichtlich rechnet die Staatsanwaltschaft damit, dass S. wegen einer Vielzahl von Brandstiftungen, die er im Herbst 2019 beging, verurteilt werden wird und hält es deswegen nicht für nötig, die Fälle anzuklagen, bei denen ihrer Ansicht nach die Beweislage nicht eindeutig ist. Was aus Gründen der Prozessökomie nachvollziehbar scheint, ist jedoch ein falsches Signal. Denn es bedeutet, dass die politische Dimension der Anschlagsserie gegen linksalternative Projekte keine juristische Beachtung und Aufarbeitung finden wird.
Noch bedenklicher wäre eine Einstellung des Verfahrens zum Brandanschlag im Autonomen Kulturzentrum Metzgerstraße in Hanau am 21. Dezember 2018, als S. im laufenden Betrieb Feuer in einem Nebenraum legte. Aufgrund der schnellen Löschung und der wochenlang verzögerten Brandbegehung, die alleine die Polizei zu verantworten hat, fehlen gerichtsfeste Beweise dafür, dass überhaupt ein Brand bzw. eine Brandstiftung stattgefunden hat. Es lässt sich zynisch feststellen, dass die Anwesenden in der Metzgerstraße es wohl länger brennen lassen und das Feuer ausführlich dokumentieren hätten sollen, anstatt sofort nach dem Feuerlöscher zu greifen und zu löschen.
Wahrscheinlich wird die Anklage der Staatsanwaltschaft als auch das Urteil des Gerichts eine »narzisstische Persönlichkeitsstörung« des Joachim S. in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungen rücken. Derartiges wurde ihm schon vor Jahren in einem psychologischen Gutachten diagnostiziert.
Joachim S. ist, so wissen wir heute, ein Mensch mit einer bitteren Kindheit, der eine Persönlichkeitsstruktur entwickelt hat, die genauso zerstörerisch ist wie die Bedingungen unter denen er aufgewachsen ist. Eine harte Biographie mag manches erklären, doch entschuldigen tut sie nichts.
Rechte Taten und Spenden an die AfD
2015 war das Jahr des Aufstiegs von PEGIDA und der Alternative für Deutschland (AfD). Rechte Akteur*innen inszenierten sich als »besorgte Bürger«, wurden von vielen Politiker*innen gepampert und dadurch wirkungsmächtiger. Wir gehen davon aus, dass Joachim Scholz nicht zufällig just in dieser Zeit begann, sich gegen alternative Wohnprojekte zu wenden. In diesem Jahr schrieb er seine ersten Denunziationen und Strafanzeigen gegen linke Projekte.
Rechte und reaktionäre Weltbilder und ihr Hass auf das, was sie als »linke Gleichmacherei« verstehen, basieren auf angenommenen Vorrechten für weiße Männer. Sie kämpfen verbissen und zornig um ihren privilegierten gesellschaftlichen Status und sie beklagen jeden Ansatz von Gleichstellung derer, die sie als »anders« (und somit untergeordnet) wahrnehmen, als eigene Benachteiligung.
Die Brandstiftungen, die zwischen Herbst 2018 und Sommer 2019 ausschließlich gegen linke Projekte verübt wurden und für die wir S. verantwortlich machen, waren zweifellos rechte Anschläge. Auch wenn es nach wie vor keinerlei Hinweise gibt, dass sich S. in einer rechten Gruppe organisierte, so spricht die Auswahl der Ziele eine deutliche Sprache. Zudem trat S. in der Vergangenheit als Unterstützer der AfD auf. 2017 bereits spendete er der Partei 65 Euro, im August 2018, drei Wochen vor dem Start der Brandserie, überwies er der Partei die erkleckliche Summe von knapp 1.700 Euro als »Plakatspende«.
Die Taten von S. lassen sich nicht mit den mörderischen Anschlägen von Hanau am 19. Februar 2020 und Halle am 9. Oktober 2019 vergleichen. In Hanau wurden neun Menschen aus einer rassistischen Motivation heraus ermordet, in Halle hatte der antisemitische Täter einen Massenmord an Teilnehmenden einer Feier in der Synagoge geplant und zwei Menschen erschossen. Wenngleich die Brandstiftungen von S. in einzelnen Fällen Menschen in Gefahr brachten, so lässt sich nicht erkennen, dass er beabsichtigt hatte, jemanden zu töten. Doch zwischen den Tätern von Hanau, Halle und der Brandserie lassen sich signifikante Parallelen finden.
Der Hass auf »die Anderen«
S. saß schon Anfang der 2000er Jahre eine mehrjährige Haftstrafe ab, weil er 14 zum Teil schwere Brandstiftungen begangen hatte. Damals richteten sich die Brände unter anderem gegen Häuser von Menschen, die er beneidete: Häuser von Kleinfamilien, offensichtlich aus der Mittelklasse. Ab 2015 richtete er seine Missgunst gegen alternative Lebensformen und insbesondere gegen Projekte des Mietshäuser Syndikats (MHS).
S. hatte auf wechselnden Arbeitsstellen bis 2017 Kolleg*innen, die ein Wohnprojekt im Mietshäuser Syndikat (MHS) entwickelten und mittlerweile in diesem leben. Zwischen den Kolleg*innen und ihm gab es keine Zerwürfnisse, aber auch keine Nähe. Vermutlich ist S. über diese kollegialen Kontakte auf das MHS gestoßen. Dass sich Menschen mit einem geringen oder mittleren Einkommen gemeinschaftlich ein Haus kaufen (können), vermochte er nicht zu akzeptieren. Gegenüber einem Arbeitskollegen äußerte er, dass er diese Form des Zusammenlebens als »strange« empfinde. Er neidete und verachtete es als unverdientes Lebensglück anderer, dass ihm seiner Meinung nach stets vorbehalten geblieben war. In einer privaten Kommunikation echauffierte er sich in überheblicher Art über einen Kollegen, der Direktkredite für ein MHS-Projekt einwarb und bezeichnete diesen als »Schnorrer«.
Vor diesem Hintergrund mag es überraschend erscheinen, dass Joachim S. selbst viele Jahre seines Lebens nicht von eigenem Erwerb sondern von Erbschaften gelebt hat. Anstatt seine Werte und Ansprüche zu hinterfragen, versucht er diese aggressiv im Außen durchzusetzen. Anstatt sich seiner eigenen (sozial isolierten) Lebensführung zu zuwenden, greift er jene an, die sich durch solidarisches Handeln und Wirtschaften ein gutes, gemeinschaftliches Leben verwirklichen. Anstatt sich einer positiven Verwirklichung seines individuellen Selbst zu zuwenden, flüchtet er sich aus der Selbstverantwortung ins Autoritäre und Destruktive.
Wir wissen heute, dass Joachim S. ein Mensch mit sehr wenigen Bekannten und Freizeitaktivitäten war. Er fand seine Befriedigung offensichtlich darin, quer durch die Republik dutzende Syndikatsprojekte wegen kleiner Form- und Bilanzfehler anzuzeigen. Er investierte sicherlich enorm viel Zeit, sich das hierzu notwendige Wissen anzueignen, die entsprechenden Unterlagen der Projekte zu beschaffen und penibel durchzusehen. Diese Anzeigen haben in keinem Fall zu einer nachhaltigen Schädigung eines Projekts geführt, in der Regel wurden seitens der Ämter Korrekturen angemahnt, die dann auch geschahen. Wir gehen davon aus, dass Joachim S. diese »Ergebnisse« seines Tuns als unzureichend empfand und auf ein Aktionsniveau wechselte, das ihm unmittelbaren »Erfolg« versprach und mit dem er Erfahrung hatte: Brandstiftung.
Es ist ein übliches Legitimationsmuster rechter Täter: Sie sehen sich selbst als Wächter einer »ganz natürlichen« bzw. »ganz normalen« Ordnung, die durch Gruppen gefährdet wird, die sie als schädlich und minderwertig bewerten. Die schließt die Anwendung von Gewalt zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung ein. Wir verorten Joachim S. in diesem Typus »Wutbürger« der selbst Hand anlegt, um sein autoritäres Denken durchzusetzen.
Misogynie
Frauenverachtung verbindet viele der rechten Mörder und Attentäter der letzten Jahre. Misogynie scheint auch im Handeln von Joachim S. eine Rolle gespielt zu haben. Wir verorten Joachim S., der (vermutlich sogar mehrfach) am Frauenwohnprojekt Lila Luftschloss Feuer gelegt hat in der Kategorie misogyner Männer.
Zu Studienzeiten war S. in der katholischen Studentenverbindung Moenania-Starkenburg in Darmstadt organisiert, kein rechtsradikaler, aber ein stramm konservativer Männerbund.
Wir wissen dass er objektivierende, sexualisierende und verachtende Äußerungen über Frauen kundtat. Die Rekonstruktion seines Lebens seit den 1990 Jahren hat keinen Hinweis darauf erbracht, dass er jemals eine Lebensbeziehung geführt hat. Es ist häufig zu beobachten, dass sich solche Männer nicht fragen, was sie an sich und ihrem Verhalten ändern können, sondern stattdessen ihre Unzufriedenheit und Aggression gegen Frauen richten.
Rechte Ideologien gehen in der Regel einher mit klassischen bis übersteigerten Geschlechterrollen, in denen Männlichkeit oft mit gewaltvollen und schädlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen verknüpft ist. Hierfür hat sich der Begriff »Toxische Männlichkeit“ etabliert.
Vielen Männern gelingt es nicht, die Eigenschaften zu erfüllen, die in ihrem Wertesystem Männern zugeschrieben werden: beruflicher Erfolg, sexuelle Attraktivität und Aktivität, soziale und körperliche Dominanz. Als Folge kommt es häufig zu einem Rückzug in soziale Isolation, Depressionen und hohen Drogen- oder Alkoholkonsum. All das lässt sich im Leben von Joachim S. in großer Deutlichkeit erkennen. Um das Jahr 2000, als er seine erste Anschlagsserie beging, die ihn für über drei Jahre ins Gefängnis brachte, war er schwerer Alkoholiker. In Folge seines Gefängnisaufenthalts und einer Therapie wurde er trocken. Doch ab 2018 fing er wieder an, täglich große Mengen Alkohol zu trinken. Bei seinen Festnahmen 2018 und 2019 wurden bei ihm Promille-Werte über 2,0 gemessen. Der Zustand der Volltrunkenheit hat ihn sicher enthemmt und sein riskantes und gewalttätiges Tun gefördert. Doch der Grund für die Taten war freilich nicht der Suff, sondern liegt alleine in seinem Hass auf die Lebensentwürfe, die er »strange« findet.
Ein Fazit
Wir führen diese Thesen und Erklärungen auf, weil wir eine Entschuldigung der Taten von Joachim S. durch diagnostizierte Störungen und schwere biographische Erfahrungen nicht akzeptieren werden. Dies erfolgte zum Teil schon im Boulevard (BILD) und wird sich vermutlich auch im gerichtlichen Urteil wiederfinden.
»Narzisstische Persönlichkeitsstörungen«, toxische Männlichkeit und rechte Gewalt stehen in einer logischen Verbindung. Das ließ sich in der vergangenen Jahren bei vielen rechten Gewalttätern erkennen.
Die Taten von S. richteten sich gezielt gegen linksalternative Lebensentwürfe. Sie sind zweifellos rechte Taten und sie wären es auch, wenn es keine Nachweise der Verbundenheit des Joachim S. mit der Alternative für Deutschland (AfD) gäbe. Das sich ein Charakter wie Joachim S. der rechten AfD zuwendet ist naheliegend und logisch. Denn die Partei vertritt die ideologische Vorstellung einer »ganz normalen« gesellschaftlichen Ordnung, in der Menschen beständig in Gruppen aufgeteilt, gewertet, kategorisiert und hierarchisiert werden. Und in der sich alles dem weißen, deutschen, angeblich leistungstragenden Mann unterzuordnen hat. Und wo Menschen von dieser fantasierten Ordnung abweichen, sollen sie durch Gewalt in diese gezwungen werden.
Das machen Politiker*innen der AfD indem sie solche Gewaltanwendung sprachlich vorwegnehmen und legitimieren. Und Männer wie Joachim S. fühlen sich dann berufen sie eigenständig umzusetzen.
Der derzeit erkennbare Versuch der Staatsanwaltschaft, diese Anschlagsserie und damit die politische Dimension der Anschläge auszublenden, zeigt, dass die zuständigen Behörden offensichtlich noch immer wenig verstanden haben vom Wesen rechter Ideologie und rechter Gewalt.